Der WELT AM SONNTAG haben mein Mann und ich unser erstes gemeinsames Interview gegeben.


Welt am Sonntag: Frau Schröder, Herr Schröder, nach 15 Jahren kandidieren Sie beide nicht mehr für den Bundestag. Ein erstaunlicher Schritt für zwei Menschen, die schon früh den Weg des Berufspolitikers eingeschlagen haben. Wieso kommt der Ausstieg genau jetzt?

Kristina Schröder: Sie sagen es, wir haben tatsächlich sehr früh mit der Politik angefangen. Und wenn man früh anfängt, muss man auch früh aufhören. Ich bin gerade 40 geworden, das ist ein guter Zeitpunkt, beruflich noch einmal etwas anderes zu machen. 

Ole Schröder: Für meine Frau und mich war immer klar, dass Politik ein Mandat auf Zeit ist. Wir würden es uns später vorwerfen, wenn wir nichts Anderes mehr gemacht hätten. 

Dabei haben Sie sich im Bundestag kennengelernt...

O.S.: Die meisten Paare haben sich doch bei der Arbeit kennengelernt! (lacht) Im Bundestagswahlkampf 2002 hat meine damalige Geschäftsführerin im CDU-Kreisverband mir ein „Bunte“-Interview mit Kristina gezeigt und gesagt: Ole, die wäre doch was für dich.

Und was haben Sie gesagt:

O.S.: „Stimmt!“

K.S.: "Als ich dann 2003 vom Umwelt- in den Innenausschuss gewechselt bin, war einer meiner ersten Gedanken: "Das ist doch der Ausschuss von Ole Schröder!". Das fand ich gleich ziemlich gut.

Und jetzt zieht es sie gemeinsam weg aus dem Bundestag. Verspüren Sie Abnutzungserscheinungen von der Politik?

O.S.: Natürlich kannsich jeder immer noch weiterentwickeln. Aber niemand muss glauben, dass man nach so langer Zeit noch sehr viel besser wird.

K.S.: Die Routine trägt dazu bei, dass man gewisse Dinge sehr abgeklärt sieht. Und das ist nicht unbedingt gut. Manchmal ist es besser, sich mit der Leidenschaft eines Neulings hinter die Themen zu klemmen.

Was an ihrem Politiker-Leben werden Sie am wenigsten vermissen?

O.S.: Die sehr strenge Eingebundenheit in bestimmte Abläufe und Rituale in Sitzungen werde ich mit Sicherheit nicht vermissen.

K.S.: Mit drei Wohnsitzen und den beiden Großelternpaaren, die sich viel um unsere Töchter gekümmert haben, war das Erstellen des Terminkalenders immer ein echtes Gesamtkunstwerk. Wenn das demnächst wegfällt, wird uns das sicher nicht fehlen.

Das klingt fast erleichtert – gibt es etwas, das Sie mit Wehmut zurücklassen?

K.S.: Ich werde die Freiheit des Mandats vermissen. Als politischer Mensch ist das eine großartige Möglichkeit, sich zu den Themen zu Wort zu melden, die einem am Herzen liegen. Ich bin dankbar, dass ich das 15 Jahre lang machen konnte.

O.S.: Mir war es wichtig, bei extrem relevanten Themen Politik für die gesamte Gesellschaft mitgestalten zu können. Das werde ich mit Sicherheit vermissen.

Sind Sie sicher, dass Sie überhaupt von der Politik lassen können?

K.S.: Ich habe vor, mich zumindest publizistisch weiter zu Wort zu melden. Das macht mir Freude und da will ich auch weiterhin eine wahrnehmbare Stimme bleiben – zumal ich glaube, dass ich bei bestimmten Themen gewisse Alleinstellungsmerkmale habe und es meiner Partei helfen kann, wenn ich diese Position artikuliere.

Apropos Ihre Partei: Sie stehen beide für den konservativ-liberalen Flügel der CDU – und der hat gerade wenig Konjunktur. Fühlen Sie sich kaltgestellt?

O.S.: Das Gefühl habe ich in keiner Weise. Ich sehe auch nicht, dass die konservativen Themen innerhalb der CDU keine Konjunktur mehr hätten. Bei den sozialpolitischen Themen wie Rente mit 63, Mietpreisbremse oder Mütterrente hatte es der wirtschaftsliberale Flügel allerdings sehr schwer. Das stimmt.

K.S.: Mit Jens Spahn, Julia Klöckner, Günther Krings, Helge Braun, Carsten Linnemann, David McAllister und anderen kommt doch gerade eine neue Garde nach vorn, die ausdrücklich für eine konservativ-liberale Linie steht. Die sind alle jetzt schon ziemlich stark.

Frau Schröder, als Angela Merkel Ihnen 2009 das Familienministerium antrug, hatten Sie privat eigentlich ganz andere Pläne. Sie haben damals schnell entscheiden müssen und beschlossen, beides zu wollen: das Amt – und ein Kind. Bereuen Sie Ihren Entschluss?

K.S.: Wir hatten damals nur eine Stunde Zeit zu entscheiden und haben heftig miteinander gerungen. Ich habe eher gezweifelt, Ole hat gesagt: Das musst Du machen. Aber ich denke, es war die richtige Entscheidung. Es war eine riesige Chance, die hätte ich im Leben nie wieder bekommen. Und ich bin dankbar dafür. Aber auf der anderen Seite war mir schon während der Amtszeit recht schnell klar, dass ich nicht meine ganze intensive Familienphase so verbringen will. 

Sie waren die erste Ministerin, die in ihrer Amtszeit ein Kind zur Welt gebracht hat. Trotzdem galten Sie bei Feministinnen als rückständig. Was haben Sie falsch gemacht?

K.S.: Das lag daran, dass ich bestimmte Gewissheiten, die in diesem Milieu vor sich hergetragen werden, einfach in Frage gestellt habe. Ich halte es zum Beispiel für falsch, bestimmte Rollenverteilungen in der Familie als überholt oder veraltet abzuqualifizieren. Es ist die Freiheit erwachsener Menschen, wie sie sich entscheiden. Ich habe auch deshalb für das Betreuungsgeld gekämpft, weil es zur Wahlfreiheit gehört, sein Kleinkind zuhausebetreuen zu könnenwenn man es nicht in die Krippe geben will. Damit habe ich in ein Wespennest gestochen, das war mir völlig klar. Aber eine Frauenministerin, die dazu nicht Position bezieht, ist fehl am Platz.

O.S.: Mich persönlich hat die Heftigkeit dieser Debatten überrascht. Selbst in der Asylpoltik geht es nicht so aggressiv zu!

Frau Schröder, Sie sind damit in die Rolle der Reizfigur hineingewachsen. Auch in den sozialen Netzwerken suchen Sie die offene Auseinandersetzung. Warum?

K.S.: Weil ich den weltanschaulichen Diskurs liebe, den Kampf um die grundlegenden Überzeugungen. Das ist für mich der Kern des Politischen. Und deshalb habe ich die Auseinandersetzung gerne gesucht und werde das auch weiter tun.

O.S.: Wegen dieses Gestaltungsanspruchs wird man ja auch Politiker. Wer diesen Anspruch nicht mehr hat, dem billigt der Bürger auch nicht mehr zu, weiter regieren zu dürfen. Wer meint, alle Debatten seien ausdiskutiert und zum Konsens geführt, verwischt bestehende Konflikte.

Ein parlamentarischer Staatssekretär und eine ehemalige Bundesmininisterin – wer von Ihnen ist das größere Alphatier? 

O.S.: Da schenken wir uns beide nichts.

K.S.: Ich finde, dass Du durchaus besser darin bist, Positionen mit mehr Druck zu vertreten. Manchmal ein bisschen mehr auf die Sahne zu hauen, wäre bei mir wahrscheinlich nicht falsch gewesen.

Herr Schröder, Sie hatten zuletzt vor allem mit Flüchtlingspolitik zu tun. Hängt Ihr Rückzug auch mit Frustration über die schlechte Bewältigung dieser Krise zusammen?

O.S.: Ich habe besonders am Anfang der Flüchtlingskrise 2015 für einen schärferen Kurs plädiert, gerade was Zurückweisungen an der Grenze angeht. Später dann war ich zufrieden, dass wir es geschafft haben, mit den Asylpaketen den Kurs dahingehend zu ändern, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen kann. 

Aber wenn weiter so viele Menschen nach Italien kommen, könnte Deutschland erneut vor Schwierigkeiten stehen...

O.S.: Die Mittelmeerroute hat längst nicht die Kapazitäten wie die Westbalkanroute. Aber in der Tat: Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die sich aus rein wirtschaftlichen Gründen auf den Weg zu uns machen, schon in Afrika zurückgewiesen werden. Ihnen muss klar gemacht werden, dass sie in Europa keine Chance auf Asyl haben und die gefährliche Überfahrt zwecklos ist. Der Automatismus, dass jeder, der es auf das Mittelmeer schafft, auch nach Europa kommt, muss durchbrochen werden. Dafür brauchen wir sichere Orte in Nordafrika, in die die Menschen gebracht werden können.

K.S.: Im Grunde müsste das so laufen wie mit der Türkei. Dann wäre klar, dass diejenigen, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, keine Chance mehr auf Aufnahme in Europa haben. Stattdessen sollten wir uns diejenigen, die wir aufnehmen, unter humanitären Gründen aussuchen. Dann kämen auch nicht überwiegend junge Männer zu uns, sondern die wirklich Bedürftigen und Schwachen und die Familien.

Sprechen wir über Ihre Familie: Der Bundestag hat Sie zusammengeführt, jetzt verlassen Sie ihn gemeinsam. Fürchten Sie, dass es schwierig geworden wäre, wenn ein Ehepartner weiter in Berlin geblieben und der andere gefühlt auf einen ganz anderen Planeten gewechselt wäre?

O.S.: Es wäre schon denkbar gewesen, aber wir finden uns einfach beide in derselben Lebenssituation. Dann sollte man das auch in Angriff nehmen. 

K.S.: Es ist aber auch schön, diesen Schritt gemeinsam zu gehen. Dadurch sind wir jetzt wirklich frei.

Braucht es für diesen Schritt Mut?

O.S.: Das sehe ich persönlich nicht so. Aber der Mensch neigt natürlich dazu, in seinem ihm vertrauten Umgeld zu bleiben, bei dem was er sich aufgebaut hat. Viele Kollegen bleiben auch deshalb bis zum Ruhestand AbgeordneteAnders als in den USA gibt es in Deutschland keine Tradition des Wechsels. Ich bedaure das. 

Wenn Sie auf die USA Bezug nehmen, sind Sie dann auch für eine Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler wie bei US-Präsidenten?

K.S.: So etwas kann ähnlich wie der Zuschnitt von Wahlkreisen immer nur mit Geltung für die übernächste Wahl entschieden werden. Für unsere nächste Bundeskanzlerin oder unseren nächsten Kanzler könnte ich mir tatsächlich vorstellen, die Amtszeit zu begrenzen. So würde auch das Dilemma für den Amtsinhaber aufgelöst, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden. Wenn Sie beispielsweise zur Hälfte der Amtszeit ankündigen aufzuhören, gelten Sie fortan als Lame Duck, und wenn Sie gleich nach der Wahl aufhören, fühlt sich der Wähler zu Recht betrogen.

O.S.: Ich bin gegen eine Begrenzung. Wir haben doch ganz gute Erfahrungen mit Bundeskanzlern gemacht, die lange regiert haben, auch momentan.

Manche Politiker fürchten ja auch die Leere danach – welche Pläne haben Sie für die Zeit nach dem 24. September?

O.S.: Ich werde voraussichtlich bis zur Bildung einer neuen Regierung im November oder Dezember parlamentarischer Staatssekretär sein. Was genau ich dann machen werde, entscheide ich dann. Generell hat man als Volljurist ja viele Möglichkeiten.

K.S.: Ich arbeite bereits seit Juni neben meinem Mandat für das Beratungsunternehmen Deekeling Arndt Advisors. Alles weitere wird sich zeigen.

Als Regierungsmitglied könnte Ihnen, Herr Schröder, vor einem Wechsel in die Wirtschaft eine Karenzzeit auferlegt werden, falls Interessenkonflikte zu befürchten sind.

O.S.: Ich bin tatsächlich einer der ersten, der von dieser Neuregelung betroffen ist. Das Karenzzeitgremium wird sich dann meinen Fall genau anschauen und dem Kabinett einen Vorschlag machen, ob und wie lange ich pausieren muss. Das kann von null bis in besonderen Fällen 18 Monaten sein, je nachdem, was ich künftig vorhabe.

Glauben Sie, dass Ihnen in Zukunft ein „normaleres“ Familienleben gelingt?

K.S.: Ich würde sogar behaupten, dass wir jetzt schon ein normales Familienleben haben. Das liegt daran, dass wir so große Unterstützung durch unsere Eltern haben – aber auch daran, dass ich zunehmend entschiedener darin geworden bin, Einladungen abzulehnen und mir die Wochenenden und Abende freizuhalten. Ich habe zum Beispiel vielen Talkshows abgesagt, weil ich mit Stillkind diese Auftritte um 22 oder 23 Uhr nicht auch noch geschafft hätte. Damit habe ich auf direkte mediale Präsenz verzichtet und mein Bild war mehr geprägt durch das, was andere über mich sagten oder schrieben. Aber man kommt irgendwann an einen Punkt, da muss man sich einfach entscheiden.

O.S.: Ich finde es auch falsch, den Menschen einzureden, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie ohne Abstriche geht. Es wird viel zu häufig so getan, als sei eine Karriere mit Kindern nur eine Frage der Organisation. Aber es ist eben immer auch ein Verzicht.

Ist eine Rückkehr in den Bundestag für Sie wirklich ausgeschlossen?

O.S.: Selbstverständlich nicht absolut. Aber wir beginnen jetzt einen neuen Lebensabschnitt. Und der besteht gerade darin, jetzt kein Mandat mehr anzustreben.

K.S.: Für die nächsten zehn oder 15 Jahre kann ich mir das auch nicht vorstellen. Aber wer weiß, was dann kommt.

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