Kleine Kinder sind zumeist Morgentypen, sogenannte „Lerchen“: sehr früh am Morgen schon topfit und fidel. Ihre Eltern erfahren dies leidvoll, wenn am Wochenende kleine Hände schon um 6:30 Uhr an der Bettdecke zerren. Sie machen dann die schöne Erfahrung, um 8.30 Uhr schon eine Stunde gepuzzelt, fünf Bilder gemalt und unzählige Bücher vorgelesen zu haben!

Je älter die Kinder aber werden, desto mehr verschiebt sich ihr Biorhythmus nach hinten. Das belegen viele Studien von Schlafforschern und Biologen. Etwa im Alter zwischen 12 und 14 Jahren werden die meisten Kinder zu Abendtypen, sogenannte „Eulen“. Ihr erstes Leistungshoch liegt dann am späten Vormittag oder Mittag, das zweite nachmittags oder sogar abends. Ihr Einschlafzeitpunkt verschiebt sich kontinuierlich nach hinten, während sie morgens oft aus dem Tiefschlaf wachgerüttelt werden müssen, damit sie es rechtzeitig in die Schule schaffen. Mein Bruder zum Beispiel schaffte es am Wochenende in den Wintermonaten gelegentlich, so zu schlafen, dass er keinerlei Tageslicht erblickte ☺. Und auch ich erinnere mich gut daran, wie übermüdet ich oft in der Schule war (mein wöchentlicher Tiefpunkt war die „Lateinisch-Sprechen-AG“ dienstags um 7:15 Uhr) und dann am Wochenende 14 Stunden am Stück Schlaf nachholte.

Alle fröhlichen Frühaufsteher – und darunter sind gewiss viele Lehrer! – werden mir jetzt entgegnen, die Kinder sollten doch einfach früher ins Bett gehen und nicht die halbe Nacht fernsehen oder Computer spielen. Dann schliefen sie länger und die Welt wäre in Ordnung. So einfach ist es aber nicht. Die meisten Jugendlichen können schlicht nicht vor 22, 23 Uhr einschlafen, egal wie früh sie ins Bett gehen.

Da die Schule aber auf diese chronobiologischen Rhythmen der Schüler bislang kaum Rücksicht nimmt, beginnt der Unterricht meist zwischen 7.30 und 8.15 Uhr. Besonders in der ersten und zweiten Stunde können deswegen viele Schüler nachgewiesenermaßen nicht ihr volles Leistungspotential ausschöpfen. Und auch in den Stunden danach sind sie oft schlicht müde. Kein Wunder: Viele von ihnen haben nur sieben Stunden geschlafen, manche sogar noch weniger.

Ich bin der Meinung, dass wir unseren Kindern sehr viel zumuten, wenn wir sie – zum Teil ohne Not – entgegen ihrem idealen Rhythmus zur Schule schicken und sie so teilweise einer ständigen Müdigkeit aussetzen. Deswegen halte ich einen späteren Schulbeginn, etwa 9 Uhr, für vernünftig. Gleichwohl ist klar, dass eine solche Umstellung zu neuen Koordinationsproblemen in Familien führen wird, etwa wenn der Arbeitsbeginn der Eltern früher liegt als der Schulbeginn. Ich kenne jedoch auch viele Eltern, besonders in akademischen Berufen, die erst um 9 Uhr mit der Arbeit beginnen und froh wären, wenn sich der Rhythmus ihrer Kinder etwas nach hinten verschöbe und sich so ihrem eigenen annäherte. Um keine Familie in Bedrängnis zu bringen, ist eine Betreuung vor Schulbeginn ab 7.30 Uhr entscheidende Voraussetzung für einen späteren Schulbeginn. Wenn dies aber gegeben ist, profitieren meines Erachtens alle: der Großteil der Kinder und auch die Eltern mit frühen wie mit späten Arbeitszeiten.

Warum schlagen angesichts der Ergebnisse der Wissenschaftler nicht schon viel mehr Schulen diesen Weg ein? Die meisten Landesschulgesetze lassen die Schulen selbst entscheiden, wann die erste Stunde beginnt. Allerdings legt etwa das Hessische Schulgesetz fest, dass jede Schule eine verlässliche Schulzeit von mindestens fünf Zeitstunden gewährleisten muss. Das zwingt also alle Schulen ohne Ganztagsangebote, früh anzufangen, um überhaupt auf diese Stundenzahl zu kommen.

Ganztagsschulen hätten aber alle Möglichkeiten – und ich finde, sie sollten sie nutzen! Der gesellschaftliche Trend geht hin zur Ganztagsschule, weil immer mehr Eltern sich diese Schulform für ihre Kinder wünschen. Ich halte es für eine große Chance, diese Entwicklung zu nutzen und den späteren Schulbeginn an Schulen, die ohnehin ein Mittagessen für ihre Schüler anbieten, auszuprobieren. Die verschobene Schulzeit könnte sich für sie sogar als Wettbewerbsvorteil gegenüber Halbtagsschulen erweisen.

In Hessen wird an vielen Grundschulen schon der „offene Anfang“ praktiziert, d.h. die Kinder können ab 7.30 Uhr kommen und z.B. Hausaufgaben erledigen. Der Unterricht nach Stundentafel und mit ihm die Anwesenheitspflicht beginnt aber erst um 8.30 Uhr. Ich hoffe, dass auch viele weiterführende Schulen hier bald nachziehen. Denn gerade für Jugendliche in der Pubertät ist die Mathearbeit in der ersten Stunde eine besondere Qual und sie könnten von einem anderen Schulrhythmus besonders profitieren.

Ich weiß: Viele halten frühes Aufstehen für einen Ausweis besonderer Redlichkeit. Aber der Langschläfer, dem immer latent unterstellt wird, er wäre faul und würde wertvolle Lebenszeit vergeuden, schläft eben meist nicht länger, sondern nur später! Wenigstens unseren Kindern sollten wir nicht schon zumuten, permanent gegen ihren eigenen Rhythmus leben zu müssen.