Im Herbst letzten Jahres stand der US-Saatguthersteller Monsanto, dessen Aktionäre im Dezember der Übernahme durch das Leverkusener Pharma- und Chemieunternehmen Bayer zugestimmt haben, auf der Anklagebank. Die Kläger: Ein selbsternanntes Tribunal aus Umweltaktivisten und Globalisierungsgegnern, unterstützt von Greenpeace, Attac und manch dubiosem Wissenschaftler – und von Renate Künast, die als offizielle „Botschafterin“ des „von der Zivilgesellschaft organisierten Gerichts“ in Deutschland eifrig die Werbe- und Spendentrommel gerührt hat. Als Austragungsort der „Verhandlung“ diente ihnen eine Universität in Den Haag, der Stadt, in der sich Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen. Die „Anklage“ lautete auf „Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Ökozid“. Als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sind definiert Vertreibung, Versklavung, Folter, Deportation, Ermordung und andere unmenschliche Handlungen gegen die Zivilbevölkerung. „Ökozid“ ist bewusst dem Begriff des Genozids nachgebildet. Geht es nicht auch eine Nummer kleiner?

Im selbst kreierten Logo des Tribunals wird „Mon$anto“ mit einem Dollarzeichen im Schriftzug dargestellt. Das soll Vorstellungen von einem Unternehmen nähren, dem die Organisatoren „Lügen und Korruption, Finanzierung betrügerischer wissenschaftlicher Studien“ sowie „Manipulation von Presseorganen“ vorwerfen. Und auch das Datum des abschließenden „Richterspruches“ hat es in sich. Denn das „Urteil“ fällt am 16. Oktober, 70 Jahre nachdem in Nürnberg die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten NS-Funktionäre hingerichtet wurden. Damit endet ein geschickt inszenierter Schauprozess gegen Monsanto, in dem die Kläger zugleich Jury und Richter spielen, in dem das „Urteil“ deshalb schon von vornherein feststand und in dem es nie um einen fairen Austausch von Argumenten ging. Stattdessen lag den Organisatoren und ihren Unterstützern einzig und allein an der Dämonisierung eines Unternehmens, ja einer ganzen Branche.

Im Dämonisieren scheinen viele Umweltaktivisten und Globalisierungsgegner ohnehin eine Lieblingsaufgabe gefunden zu haben. Wie leicht das funktioniert, konnten wir alle in der öffentlichen Diskussion um TTIP miterleben. Denn nachdem Campact und Attac das „Chlorhühnchen“ zum Sinnbild des Freihandelsabkommens erklärt und die Debatte emotional aufgeladen hatten, war eine Rückkehr zu einem unaufgeregten, sachlichen Diskussionsstil kaum mehr möglich. Gegen die vermeintliche drohende Gefahr, von gesundheitsschädigenden amerikanischen Lebensmitteln überschwemmt zu werden, half weder die Beteuerung, dass europäische Sicherheitsstandards nicht abgesenkt werden. Noch verfing das Argument, dass von der Chlorbehandlung nachweislich keine gesundheitlichen Gefahren ausgehen (im Gegensatz übrigens zu dem in Europa und auch von mir so geschätzten Rohmilchkäse, der wegen der realen Gefahr des Befalls mit Listerien das Chlorhühnchen der amerikanischen TTIP-Gegner ist). Sonst hätten wir längst alle Schwimmbäder schließen müssen, in denen Menschen Wasser mit einem sehr viel höheren Chlorgehalt versehentlich verschlucken. Und auch die Tatsache, dass in der EU bereits heutzutage viele Gurken und Salate nach der Ernte mit Chlorwasser desinfiziert und nach Deutschland importiert werden, hat keinen TTIP-Kritiker auf die Straße getrieben.

Schon diese Beispiele zeigen, wie Ängste vor neuen Technologien, vor dem Unbekannten und schwer Greifbaren bewusst geschürt werden. Vor allem aber zeigen sie, wie erschreckend irrational die Ängste oft sind. Dagegen bietet ein Ordnungsmodell, das die Welt in Gut und Böse unterteilt, natürlich Halt und Orientierung: hier das gute CETA, dort das böse TTIP; hier die guten Verbraucherschützer, dort die bösen Lobbyisten; hier die gute Biolandwirtschaft, dort die böse Gentechnik. Gerade bei der Bewertung neuer Technologien bedarf es jedoch einer rationalen Bestandsaufnahme: Kosten, multipliziert mit der Eintrittswahrscheinlichkeit, müssen abgewogen werden gegen Chancen, die ebenfalls multipliziert werden müssen mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit.

Für die Grüne Gentechnik bedeutet das nach dem heutigen Stand der Wissenschaft: Innerhalb der Europäischen Union haben sich in den letzten 25 Jahren über 500 unabhängige Forscherteams mit möglichen Risiken der Gentechnik auseinandergesetzt. Dafür wurden über 300 Millionen Euro investiert. In keiner dieser Untersuchungen konnten negative Auswirkungen festgestellt werden, weshalb die EU-Kommission zu dem Schluss kommt, „dass es bisher keine wissenschaftlichen Hinweise darauf gibt, dass gentechnisch veränderte Organismen eine größere Gefahr für die Umwelt oder die Lebens- und Futtermittelsicherheit darstellen als herkömmliche Pflanzen und Organismen.“

Zu einer rationalen Bestandsaufnahme gehört aber auch, dass wir uns bewusst machen müssen: Gentechnik ist längst Teil unserer Lebenswirklichkeit. Würde man in Deutschland alle Lebensmittel kennzeichnen, die während ihrer Produktion mit Gentechnik in Berührung gekommen sind, wären dies schätzungsweise zwischen 70 und 85 Prozent. Das betrifft etwa die Verwendung von Vitaminen, Enzymen, Aminosäuren und Aromen, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden. Auch eine Reihe wichtiger Medikamente, fast alle Baumwolltextilien, Putz- und Reinigungsmittel enthalten gentechnisch veränderte Organismen. Ich befürworte daher eine vollumfängliche Prozesskennzeichnung für alle Lebensmittel und Konsumgüter, bei deren Produktion an irgendeiner Herstellungsstufe gentechnisch veränderte Organismen beteiligt sind. Denn nur so ist eine vollständige Aufklärung der Verbraucher möglich! Warum aber wird so eine Prozesskennzeichnung ausgerechnet von denen heftig bekämpft, die stets vor den Gefahren der Gentechnik warnen? Auf den ersten Blick paradox, auf den zweiten logisch: Denn wenn tatsächlich über 70 Prozent unserer Lebensmittel dieses Label trügen, gäbe es drei Wochen Aufregung und das Thema wäre danach erledigt.

Welche weitreichenden Folgen diese antiaufklärerischen Kampagnen auf den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland haben, kann man seit einiger Zeit beobachten: Seit 2013 gibt es hierzulande keine Freilandversuche an gentechnisch veränderten Pflanzen mehr, viele exzellente Wissenschaftler sind inzwischen abgewandert, Großkonzerne haben ihre Forschungsabteilungen nahezu vollständig ins Ausland verlagert. Dadurch haben wir mittlerweile den Anschluss an die internationale Forschung auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik verloren. Hinzu kommt, dass in Deutschland seit 2012 auch keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr angebaut werden. Und das, obwohl sie von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit einer umfassenden Risikobewertung unterzogen, für unbedenklich erklärt und deshalb für den EU-weiten Anbau zugelassen wurden. Aus Angst vor Imageeinbußen sind Saatgut produzierende Unternehmen inzwischen sogar dazu übergegangen, Deutschland vorsorglich als mögliches Anbaugebiet auszunehmen.

Leider knicken wir gerade auch im Bundestag ein. Der jüngst von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes zielt auf ein flächendenkendes GVO-Anbauverbot in Deutschland ab. Die EU hatte eine solche „Opt-out-Möglichkeit“ im März 2015 geschaffen. Schmidt hatte zunächst noch den schlauen Versuch unternommen, diese Entscheidung den Bundesländern zu überlassen. Denn dann hätte es zumindest noch eine Chance gegeben, dass sich doch mal ein wackeres Bundesland findet, das nicht auch noch aus dieser Zukunftstechnologie aussteigen möchte. Das hat aber die SPD nicht mitgemacht und aus Bayern, das sich als „gentechnikfrei“ feiert, kam auch keine Rückendeckung. So liegt nun ein Kompromiss vor, der bei Zustimmung der Mehrheit der Bundesländer einen bundesweiten Ausstieg aus der Gentechnik ermöglicht – ein Ausstieg für mindestens eine Generation, denn unternehmerische, landwirtschaftliche und wissenschaftliche Kompetenz auf diesem Gebiet lässt sich nicht mal eben zurückholen.

Dabei sollte uns sicherheitsliebenden Deutschen bewusst sein, dass wir bei der Risikobewertung der Biotechnologie schon einmal daneben lagen – nämlich bei der Roten Gentechnik: Als es Anfang der 80er Jahre erstmals gelang, Humaninsulin durch gentechnisch veränderte Bakterien herzustellen, wollte auch Hoechst die Produktion aufnehmen. Doch der damalige hessische Umweltminister, Joschka Fischer, verweigerte dem Frankfurter Pharmaunternehmen aus rein ideologischen Gründen die Betriebserlaubnis. Damit übernahmen ausländische Hersteller die Produktion. Mittlerweile hat das gentechnisch veränderte Humaninsulin das tierische Insulin fast vollständig vom Markt verdrängt. Und ausgerechnet Teile der Grünen unterstützen heute unter anderem mit ökologischen Argumenten einen verstärkten Einsatz der Roten Gentechnik.

Insofern sollten wir uns endlich auch die Chancen der Grünen Gentechnik stärker bewusst machen. Da ist zum Beispiel das derzeit heiß diskutierte „Genome Editing“, also die molekularbiologische Entfernung, Einfügung und Veränderung von DNA-Stücken. Diese Methode wird aktuell von zahlreichen Wissenschaftsmagazinen als größte methodische Innovation in der Mikrobiologie seit mehr als 20 Jahren gefeiert. Sie könnte es beispielsweise ermöglichen, Krankheiten wie Leukämie zu heilen, Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen oder Abstoßungsreaktionen bei gespendeten Organen zu vermindern.

Ein weiteres enormes Potential besteht bei der Bekämpfung von Hunger und Krankheit in der Welt. So vermag etwa der gentechnisch veränderte „Goldene Reis“, den Vitamin-A-Mangel unterernährter Menschen zu beheben, da er mit Beta-Carotin angereichert ist. Jährlich sterben immerhin ein bis zwei Millionen Menschen an einem solchen Mangel und erblinden bis zu 500.000 Kinder. Zudem wird es allein mit konventioneller Landwirtschaft schlichtweg nicht möglich sein, die Weltbevölkerung zu ernähren, die nach aktuellen Schätzung der Vereinten Nationen von derzeit 7,4 Milliarden auf knapp 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050 anwachsen wird. Und schon gar nicht wird das die Biolandwirtschaft schaffen, die weltweit nur ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht.

Ja, man kann und sollte sich kritisch mit Monsanto auseinandersetzen. Man kann über manche Geschäftsmodelle, über einige Vertragskonditionen und über den Umgang des Unternehmens mit Patenten sprechen. Was man dem Unternehmen aber ganz sicher nicht vorwerfen kann, sind „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, wie es das selbsternannte Monsanto-Tribunal getan hat. Vielmehr muss man sich fragen, ob sich nicht die vehementen Gegner der Grünen Gentechnik schuldig machen, wenn sie beispielsweise den Anbau von „Goldenem Reis“ verhindern. So hart formulieren es immerhin 113 Nobelpreisträger in einem offenen Brief an Greenpeace und fordern, die Blockade gegen die Biotechnologie endlich aufzugeben. Recht haben sie! Wer die Chancen und den konkreten Nutzen der Grünen Gentechnik ohne fundierten Beweis ihrer Schädlichkeit einfach ablehnt und entsprechende Unternehmen verteufelt, handelt nicht nur naiv, sondern auch verantwortungslos und dekadent.


Dieser Artikel erschien erstmals am 31. März 2017 auf dem Blog Tichys Einblick.

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